Danke, Cello


Datum: 17. February 2021
Autor: Susanne von Mach
Schlagwörter: Cello Musik Konzert Corona

Ein Jahr. Ein ganzes Jahr ist es her, dass Katrin Penz zum letzten Mal mit ihrem Cello auf einer Bühne gespielt hat. Champagner musicale mit dem Collegium Musicum Aschaffenburg am 15. Februar 2020, ein Datum, das sie nicht vergessen wird. Das Faschingskonzert des Projekt-Orchesters steht seit Jahren fest im Kalender. „Alles Walzer“ spielten sie in 2020. Wissenschaftler ahnten damals schon, dass das Corona-Virus kein fernes chinesisches Problem ist und das gewohnte Leben in weiten Teilen plattwalzen wird. Katrin Penz spürte es spätestens einen Monat später: Lockdown. Mit der Bühne, dem Leben, das sie 30 Jahre lang geführt hat, war es mit einem Schlag vorbei. Ihr Terminkalender war damals bis Dezember mit Auftritten gefüllt, jetzt ist er bis Dezember leer. So viel freie Zeit, so viele leere Wochenenden. Was damit anfangen?

Im ersten Lockdown macht Katrin Penz kurzerhand den Parkplatz vor ihrer Wohnung zur Bühne. Jetzt will sie mit ihrem „Cello on tour“ gehen, plant Wohnzimmer- und Parkplatzkonzerte im Rahmen des Erlaubten nach für die, die sie hören wollen. Es sieht ja nicht danach aus, dass in diesem Jahr viele Orchesterkonzerte stattfinden. Doch Katrin Penz will spielen. Musiker sein ist eine Berufung, musizieren mehr als ein Broterwerb. „Ich will einfach Freude bringen.“ Eine halbe Stunde Spielen auf Abstand als Solist, unter freiem Himmel oder hinter ihrem Roll-up. „Ich schaue einfach, was sich ergibt.“
Katrin Penz ist eine der etwa 1,3 Millionen Menschen, die in Deutschland in einem Kulturberuf arbeiten. Das kulturverliebte Land, eigentlich ein gutes für Musiker. In den Bereichen Musik-, Gesangs- und Dirigententätigkeiten ermittelte das Statistische Bundesamt Wiesbaden im Jahr 2018 71 000 Erwerbstätige. Davon waren mehr als die Hälfte, 40 000, Selbständige beziehungsweise FreiberuflerInnen. Alle anderen arbeiteten teils selbständig, teils im Angestelltenverhältnis, zum Beispiel an einer Musikschule. Eine dieser Teil-Selbständigen ist Katrin Penz. Mehrere Standbeine zu haben rettet ihr gerade die Existenz. Sie unterrichtet Musik am Gymnasium, Cello als freie Musiklehrerin, tritt mit Projektorchestern auf und steht mit Soloprogrammen zu berühmten Künstlern auf den Bühnen der Region, Johannes Sebastian Bach zum Beispiel. Doch nicht in diesen Zeiten. Konzerte und Soloauftritte sind auf unbestimmte Zeit abgesagt. Für 2020 hatte sie ein neues Programm geschrieben, Erich Kästner. Es liegt seit Monaten in der Schublade. Premiere ist irgendwann. Dann wenigstens ein Wohnzimmerkonzert. Manches Herz sehnt sich nach Musik, nach echter Musik. Nicht aus der Konserve.
Warten auf Tauwetter
„Wir sind wie schockgefrostet in der untersten Schublade der Gefriertruhe“, sagt Katrin Penz. „Wir werden als letzte wieder aufgetaut.“ Ihr fehlt der Applaus, der Kontakt mit dem Publikum, der Schwatz in der Pause, wenn sie sich unter bekannte Gesichter mischt und nur ein halbes Glas Sekt mittrinkt, weil sie ja „gleich nochmal arbeiten muss“.
Eine harte Zeit. Nicht die erste in ihrem Leben. Im Oktober 1989 flieht Katrin Penz, abenteuerlustige 21 Jahre alt, mit ihrem damaligen Freund aus Görlitz über Ungarn in die Bundesrepublik. Sie lässt alles zurück, ihr Leben, die Musik, ihr Cello. Es war ihr nicht schlecht gegangen in der DDR, sie hatte Talent, ein Stipendium, einen Abschluss an der Musikhochschule, eine volle Stelle als Musikschullehrerin. „Ich bin auch nie gedrängt worden in die Partei einzutreten, das war bei Musikern nicht üblich.“ Trotzdem vermisst sie etwas. Freiheit. Die Möglichkeit zu reisen. Als sie geht, geht sie leise und ohne ihr Cello. Erst mehr als ein Jahr später bekommt sie es wieder.
Nach einem harten halben Jahr als Küchenhilfe arbeitet Katrin Penz wieder als Musiklehrerin, zuerst in Tübingen, später in Aschaffenburg, spielt in Ensembles mit, entwickelt Soloprogramme. Reden kann sie so gut wie Cello spielen. 1989 blieb in all dieser Zeit ihr einziges Jahr ohne Auftritt, ihr einziges Jahr ohne Musik. Bis Corona kam.
Staatliche Hilfe – aber nicht für sie
Dass die staatlichen Finanzhilfen für selbständige Künstler so schleppend und spät ausgezahlt werden, ist für die Musikerin nicht das Problem. Ihr Problem ist, dass sie für die Hilfe gar nicht erst in Frage kommt. Ein Anruf beim Steuerbüro und der Blick ins Kleingedruckte haben alle Hoffnungen zerschlagen. Um anspruchsberechtigt zu sein, müsste Katrin Penz 51 Prozent ihrer Einkünfte aus der Selbständigkeit erwirtschaften. Ist aber nicht so. Also fällt dieser Anteil an ihrem Einkommen bis auf Weiteres einfach weg. Einfach weg.
Die Pandemie hat Katrin Penz gezwungen sich mit ihrer Musik neu auseinanderzusetzen. Konsequent dranbleiben, auch wenn die Möglichkeit zum Auftritt fehlt, ist keine leichte Übung. Die Woche strukturieren seit langem die online-Unterrichtsstunden mit den Musikschülern und der Lehrauftrag für Musik am Gymnasium. „Ich habe von meinen Eltern die Haltung mitbekommen, dass es immer irgendwie weitergeht.“ Wie kann es weitergehen? Katrin Penz macht ihren Stellplatz zur Bühne.
Unter freiem Himmel
Im Frühjahr 2020, mitten im Lockdown, trägt sie jeden Sonntag spätnachmittags Cello und Bluetooth-Box vor die Haustür, packt Latte und Bogen aus. Eine halbe Stunde lang macht sie Karaoke mit dem Cello, eine halbe Stunde Ablenkung von Corona-Angst und Kontaktverbot. „One moment in time“, „Du bist das Beste“ und „Über sieben Brücken musst Du gehen“ spielt sie zur Musik aus der Box. Die Noten arrangiert sie selbst, Wochenenden können sehr lang sein, wenn die Familie weit weg wohnt, man keine Freunde sehen darf und die einzige Bühne das Wohnzimmer ist. Oft streicht Kater Foxy um ihre Beine, während sie den Bogen streicht.
Die Nachbarn werden hellhörig. Erst geht ein Fenster auf, dann zwei, dann viele. Die Erwachsenen bedanken sich mit Blumen, Donauwelle und Bier, die Kinder malen Bilder. Im Sommer, als man sich wieder ein wenig näherkommen darf, beschreiben sie den Cello-Stuhl. „Danke für die Aufmunterung“ steht darauf, „Eine tolle Idee“ und „Danke sagt Kater Foxy“.
Eine Bühne online
Im zweiten Lockdown ist es zu kalt für den Stellplatz. Skype wird ihre neue Bühne, für ein kleines Publikum. Zehn Minuten Cello stimmen jeden Freitag aufs Wochenende ein, Klassik, Pop und Rock, das Repertoire wächst jede Woche. Dafür zu üben macht Katrin Penz Freude. Mit den Wohnzimmerkonzerten will sie den Kreis ihrer Zuhörer im Rahmen des Erlaubten erweitern.
Zum Jahrestag des letzten Stellplatzkonzerts wird sie wieder auf ihrem Parkplatz musizieren. „Die Stellplatzkonzerte haben mich in 2020 gerettet“, sagt sie. „Sie haben mir einen Grund gegeben, mein Cello in die Hand zu nehmen und zu üben. Daran will ich erinnern.“