Wir haben die Pressekarikatur renoviert


Datum: 21. April 2021
Autor: Susanne von Mach
Schlagwörter: Karikatur Greser & Lenz Humor

„Wir haben die Karikatur renoviert“
Ideen des anderen weiterentwickeln, damit beginnt jede Karikatur von Greser & Lenz. Funktioniert das auch, wenn Dritte Gedanken vorgeben? Aber sicher doch!
Wer alle unsere 30 Bücher und Chroniken besitzt, braucht das neue Buch trotzdem, weil…

Greser: … ein Witz darin versteckt ist, der bisher noch unveröffentlicht ist. Wer ihn findet, kriegt sein Buch erstattet.
Lenz: Weil die Sammlung nur komplett ist, wenn man alle 31 Bücher besitzt.
Wenn Petrus uns dereinst am Himmelstor fragt, was wir auf der Erde gemacht haben, antworten wir…
Lenz: Wir haben unseren Auftrag erfüllt.
Greser: Wir haben die Karikatur, wie wir sie in unserer Jugend in der deutschen Presselandschaft vorfanden, renoviert. Wir haben die Methoden dazu nicht selbst erfunden, aber wir haben – auch weil wir die glückliche Gelegenheit hatten, ins groβe Schaufenster FAZ zu kommen – den alten Muff verdrängt und aus der Karikatur das gemacht, was man eher Cartoon nennt, also eine Erzählung in Bild und Text. Sie ersetzt eine rudimentäre, talentlose, hingehauene Zeichnung, die bestenfalls einen Instruktionswert für Analphabeten hat.
Corona, Rassismus, Religion, Politik – wir haben zu jedem Thema eine Meinung, weil…
Greser: … man diese als aufgeweckter Bürger einer Demokratie haben sollte, in der man eine gewisse Verantwortung mitträgt und seinen Beitrag leisten sollte gerade in Anbetracht der Vorgänge auf der Welt.
Lenz: Wenn man sich am Stammtisch herumdrückt, braucht man eine Meinung.
Das Land braucht uns, weil…
Greser: … wir solche groβartigen menschlichen Kulturfertigkeiten wie das Bierbrauen und Wurstherstellen maβgeblich unterstützen. Jedenfalls versuchen wir das so weit zu tun, dass diese Fertigkeiten auch in der nächsten Generation erhalten bleiben.
Lenz: Ich hab´ die Frage vergessen.
Greser: Warum wir so wichtig sind.
Lenz: Ach so. Weil eine Generation nachfolgt, die mit Humor nicht mehr so viel am Hut hat. Deshalb ist es gut, dass es uns gibt.
Greser: Und weil es überfällig ist, dass unser Landstrich sich lossagt vom feudalherrschaftlichen, zentral gelenkten Bayern und auch politisch eingefasst wird in das so genannte Rhein-Main-Gebiet.
Wir sind trotzdem nicht bei Twitter, Facebook und Instagram, weil…
Greser: Weil wir das mit unserer angeborenen Skepsis gegenüber allen technischen Neuerungen versiebt haben. Das Versprechen, das damit einherging, erschien mir damals nicht als erweiterte Kommunikationsform, sondern als eine Anstrengung, die man nur mit Beliebigkeit erledigen kann und unter Inkaufnahme einer Einbuβe der sinnlicheren, analogen Begegnung mit Menschen.
Lenz: Zunächst einmal waren wir groβe Schlafmützen, weil wir es nicht gemacht haben. Mittlerweile stellt sich heraus, dass wir durch unsere Abwesenheit fast schon Avantgarde sind.
Greser: Wobei das natürlich keiner mitkriegt, weil wir eben nicht dabei sind.
Wer unsere Karikaturen nicht versteht, der…
Greser: …käme nicht als Freund in Frage. „Ist behindert“ darf man nicht sagen.
Lenz: … ist herausgefordert.
Greser: Genau, der ist humoristisch herausgefordert.
Lenz: Auf jeden Fall hätte er hier Hausverbot.
Karikaturen haben früher Menschen politisch „gebildet“, die nicht lesen konnten. Und heute…
Greser: In seltenen Fällen sind sie tatsächlich Widerstandspfeile im Fleisch der Herrschenden und Mächtigen. Häufiger und eher sind sie kleine Unterhaltungssprengsel in dem, was noch von der gedruckten Presse übrig ist.
Lenz: Wir können Menschen nicht mehr bilden, weil die Saukerle einfach keine Zeitung mehr anschauen. Saukerle darf man noch sagen.
Wenn wir richtig provozieren wollen, machen wir einen Witz über…
Greser: Einen Indianerhäuptling, der eine Negeroma hatte, die sich im hohen Alter nochmal transgendern lieβ und deren Vater ein pyromaner Feuerwehrmann im Kongo war.
Lenz: … und die alle miteinander Kannibalen sind.
Man darf uns witzig, ironisch, sarkastisch oder makaber nennen, aber nicht…
Lenz: Zwei Zeichner, bei denen einen das Lachen im Halse stecken bleibt.
Greser: Zwei schwule Idioten, die ihr talentfreies Gekrakel zum Beruf gemacht haben. Weil wir nicht schwul sind.
Wir weisen in Interviews gerne von uns aus darauf hin, dass wir nicht schwul sind, weil…
Greser: … wir in einer Zeit aufgewachsen sind, in der Homosexualität tatsächlich in den kleinbürgerlichen Herkunftsmilieus, in denen wir aufgewachsen sind, als Makel erachtet und streng tabuisiert wurde. Und sich diese Verhaltensmuster der Abwehr erhalten haben, auch wenn wir natürlich wissen, dass das blanker Unsinn ist und selbst unter den Boxern und Footballspielern, also den gröβten, am wenigsten mädchenhaften Grobianen homosexuelle Spieler sind. Wir haben auch Freunde, die schwul sind, mit denen wir uns einlassen, ohne dass wir eine Sperrholzunterhose anhaben.
Lenz: Weil wir das Pech haben, dass wir hetero sind und noch nicht mal bi.
Dass die Stadt Hanau uns im gleichen Jahr, in dem sie unsere Ausstellung wegen eines Witzes über Religion nicht zeigen wollte, den Ludwig-Emil-Grimm-Preis verliehen hat, finden wir …
Greser: … eine wunderbare Geste.
Lenz: Groβartig.
Greser: Und wir haben das auch sehr genau verstanden als eine indirekte Form der Widergutmachung für die seelischen Qualen, die sie uns angetan haben. Ich glaube, das war so gemeint, und das war eine friedensstiftende Maβnahme für alle Hanauer Menschen, die das damals mitgekriegt haben. Und für uns auch.
Besser oder schlimmer als Witze über Religion funktionieren nur…
Lenz: Witze über den FC Bayern.
Greser: Die Frage ist, ob Witze über Religion überhaupt noch gut sind. Die sind ja eigentlich nur gut für diejenigen, die noch wissen, was Religion ist und die mal damit konfrontiert wurden. Die die Rituale und Litaneien kennen. Aber das ist mit jedem Witz so. Er ist nur gut, wenn er verstanden ist, und er wird nur verstanden, wenn der Anspielungsrahmen, auf dem er fuβt, erkennbar wird für den Betrachter.
Den Thomas-Nast-Preis kennt niemand, wir freuen uns aber trotzdem, dass wir ihn im Jahr 2002 bekommen haben, weil…
Greser: … die Übergabe mit einem schönen verlängerten Wochenende in Landau in der Pfalz verbunden war. Der damalige Ministerpräsident und spätere SPD-Bundesvorsitzende Dr. Kurt Beck hat damals die Laudatio gehalten, übrigens eine sehr gescheite Rede.
Thomas Nast ist ein völlig zu Unrecht fast komplett in Vergessenheit geratener Held unserer Branche, der als Kind mit seinen Eltern in die USA ausgewandert ist und dort als Zeichner Karriere gemacht hat. Er hat während des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs Propaganda-Bilder für die Washington-Seite gezeichnet und stand am Ende auf der Sieger-Seite. Er hat drei Ikonen der amerikanischen Karikatur erfunden, nämlich die zwei Symboltiere für die demokratische und republikanische Partei, Esel und Elefant. Und er hat Santa Claus erfunden, der auch unseren Kindern den Nikolaus, die christliche Heiligenfigur, ersetzt. Santa Claus ist ja…
Lenz: Coca-Cola.
Greser: Genau. Der wahre Gründer von Coca-Cola. Der Wahrer des Coca-Cola-Rezepts.
Lenz: Wir haben uns mit diesem Preis sehr geehrt gefühlt.
Greser: Der Preis wurde damals an einen deutschen und amerikanischen Preisträger verlieren. Letzterer war Tony Auth. Er kam mit seiner Familie und zwei Kindern, die genauso aussahen, wie man sich amerikanische Teenager vorstellt. Das war ein sehr vergnügliches Auskommen mit den vieren. Wir hatten danach einen freundschaftlichen E-Mail-Austausch bis 9/11, der aber dann sehr rapide unterbrochen wurde von ihm.
Ich war tatsächlich 2008 mit meiner damaligen Lebensgefährtin und den Kindern in New York. Wir haben vom Flatiron Building aus Erinnerungsfotos gemacht. In der Absicht, Tony Auth zu erheitern, habe ich ihm geschrieben, dass es nun blöd sei, dass wir aus allen Fotos das WTC wegretuschieren müssten. Das fand er nicht nur nicht lustig, sondern es hat ihn dazu veranlasst, nie mehr zu antworten. Ein krasses Zeichen von Humorlosigkeit ausgerechnet eines Kollegen, der für den Philadelphia Inquirer und damit ein eher linksorientiertes Blatt geschrieben und gezeichnet hat.
Der Stern hat uns rausgeworfen, weil…
Lenz: … weil sie das Blatt reformieren wollten. Beim Focus war es eigentlich auch so.
Greser: Aus Geiz und Dummheit.
Wenn die FAZ uns auch noch hinauswirft…
Greser: Dann sind wir am Arsch. Und dann werden wir jeden Tag einen faulen Fisch in die Redaktion schicken bis ans Ende unserer Tage.
Lenz: Das würde die FAZ niemals machen.
Ihr Kollege Martin Sonneborn, zugleich EU-Parlamentsabgeordneter, ist ein leuchtendes Beispiel dafür, dass…
Lenz: … man selbst dann, wenn bei der Titanic war, politische Karriere machen kann.
Greser: Er hat ein riesiges Talent als Menschenfänger. Er wäre auch ein groβartiger Verkäufer für irgendwas geworden, Waffen, Immobilien, was eben die gröβte Rendite abwirft. Er hat um die Zeit der Wiedervereinigung herum bei der Satirezeitschrift Titanic eine Rubrik eingeführt, in der er bei Menschen mit verstellter Stimme angerufen hat um O-Töne einzusammeln. Das war wunderbar. Und dieses Talent, diese Kunst hat sich ausgezahlt für seine politische Karriere.
Lenz: Das Erstaunliche war, dass er bei diesen Telefonaten total ernst geblieben ist und einfach weitergefragt hat. Anfangs musste da jeder mal ran, auch ich. Ich musste bei Dr. Oetker anrufen und sagen, dass mein Chef zu Gast kommt und ich nur noch dieses und jenes im Kühlschrank habe, und was ich denn jetzt machen soll, es sei ein absoluter Notfall, es gehe um meine Karriere. Die waren so nett bei Dr. Oetker, dass ich mich fast schon geschämt habe. Sie haben extra eine Köchin ans Telefon geholt, die mir Tipps gegeben hat. Das war so rührend, dass ich danach gesagt habe, das kann ich nie wieder machen. Aber der Martin war da gnadenlos. Und er hat dann auch wirklich witzige Antworten bekommen.
Greser: Er hatte das Buster Keaton-Syndrom, als Komiker nie das Gesicht zu verziehen bei seinen eigenen Witzen. Martin Sonneborn ist ein cooler Typ, der aber auch langsam verzweifelt an seiner Partei.
Die Karikatur, mit der wir im Jahr 2004 den Deutschen Karikaturenpreis gewonnen haben, haben wir in 2020 leicht verändert mit einem neuen Spruch neu aufgelegt, weil…
Greser: Damals ging es um die wirtschaftliche Lage im Land, Deutschland war der kranke Mann Europas mit riesigen Arbeitslosenzahlen und Staatsschulden. Wir haben eine schöne Utopie vorgeführt, dass man sich alles leisten kann, was in der Auslage der Metzgerei lag. Der zweite Anlass in 2020 war ja Corona, daher war die Szene genauso zielgerichtet einsetzbar.
Lenz: Falls diese Frage darauf zielt, dass wir vielleicht keine Ideen mehr haben: Sich selbst kann man nicht beklauen. Man kann verschiedene Motive wiederverwenden, das war früher in der Musik ja durchaus üblich.
Greser: Das war aber nicht der einzige Ansatz, in dem wir eine Idee wiederverwertet haben. Es kommt darauf an, dass man zur richtigen Zeit die richtige Idee platziert. Van Gogh hat vielleicht 50 Bilder mit Sonnenblumen gemacht. Wobei man ihm das heute wahrscheinlich vorwerfen würde.
Wir kolorieren heute mehr als früher, weil…
Lenz: Das war der Wunsch der FAZ-Redaktion.
Greser: Farbdruck war lange Zeit zu teuer.
Wir lesen in der Zeitung immer als erstes…
Lenz: Die Todesanzeigen.
Greser: In der FAZ Leitartikel und Kommentare.
Lenz: Nein, im Ernst. Ich fange vorne an. Das Feuilleton kommt meistens am Abend dran.
Greser: Ich lese das E-Paper der FAZ, das am Vorabend verschickt wird. Spätestens zum Schlafengehen lese ich eine Stunde, und frühmorgens nochmals, so dass ich die gedruckte Ausgabe sehr selten in die Hand nehme. In der Regionalzeitung lese ich Sport und Todesanzeigen.
Leserzuschriften finden wir grundsätzlich…
Greser: … ein dankenswertes Zeichen dafür, dass es überhaupt noch jemanden gibt, der uns mehr Aufmerksamkeit widmet. Allerdings muss man berücksichtigen, dass jemand, der einen Leserbrief schreibt, einen groβen Selbstdarstellungsdrang hat. Beschwerdebriefe hingegen bestätigen uns darin, dass wir unsere Arbeit noch einigermaβen gut nachgehen. Gäbe es auf Karikaturen keine Beschwerden, wäre das kein gutes Zeichen.
Lenz: Leserbriefe sind immer eine Auszeichnung, ob positiv oder negativ. Da hat sich jemand Mühe gemacht.
Greser: Leider schreiben zunehmend auch die Älteren, die absolut analog aufgewachsen sind. Deren Briefe gehen über die Dezenz früherer Jahre weit hinaus. Hier zu antworten ist ein Akt der Altenbetreuung.
Unser bestes Jahr…
Lenz: Das muss dieses sein.
Greser: Im Dezember wissen wir es.
Sollten wir uns unerwartet jetzt noch zerstreiten, werden wir…
Greser: Ich werde dann, glaube ich, nichts mehr machen. Jedenfalls nichts für die Presse zeichnen.
Lenz: Ich hole mir die besten Anwälte Aschaffenburgs.
Wir können jedem nur empfehlen, Karikaturist zu werden, weil…
Lenz: Es ist Therapie!
Greser: Das ist die Methode aus einem in der Jugend erworbenen Dachschaden einen Beruf zu machen. Bisher funktioniert´s.
Ohne Zigaretten…
Greser: … bin ich kein Adonis mehr.
Lenz: Ich rauche nicht.
Ihre letzten Worte…
Lenz: Ohne Worte.
Greser: Ihr könnt mich mal kreuzweise. Das wäre doch mal ein schöner Grabspruch.
Meine letzten Worte für heute sind „Vielen Dank“!

Nachtrag:
Tony Auth (1942-2014) war ein US-amerikanischer Illustrator und Zeichner. Im Jahr 1976 gewann er den Pulitzer Preis in der Kategorie Cartoon, 2002 den Thomas Nast-Preis.
Buster Keaton (1895-1966) war ein US-amerikanischer Schauspieler, Komiker und Filmregisseur. Er zählte neben Charlie Chaplin zu den erfolgreichsten Komikern der Stummfilmzeit. Sein Markenzeichen war sein bewusst ernster, stoischer Gesichtsausdruck. Dafür wurde er „The Great Stoneface“ und „Der Mann, der niemals lachte“genannt.
Martin Sonneborn (Jahrgang 19 ist Satiriker, Journalist und Politiker. In dieser Reihenfolge. 2014 und 2019 wurde er für die Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative ins Europaparlament gewählt. Von 2000 bis 2005 war er Chefredakteur des Satiremagazins Titanic.