Kein Witz! Zweieinhalb Kilo Komik am Stück
Datum: 21. April 2021
Autor: Susanne von Mach
Schlagwörter: Karikatur Greser & Lenz Humor
Die Tusche, das Büttenpapier, die Federn, nichts ist mehr wie früher, seufzen Greser und Lenz. Nur ihre Witze nicht. Die sind seit 25 Jahren gut. Berufs- und temperamentbedingt hat das Karikaturisten-Duo keine Scheu vor nichts und niemanden, und das ist in Zeiten neugeistiger Gender-, Rassismus- und Alles Mögliche-Debatten eine echte Nachricht. In ihrem grobporigen Sieb der Selbstzensur bleibt nichts hängen, und dass mit der FAZ eine von Deutschlands ganz groβen Tageszeitungen treu und unverbrüchlich seit 25 Jahren auf genau diesen Stil schwört, ist die Lebens- und Berufsversicherung der beiden Wahl-Aschaffenburger. Da man nicht als Karikaturist und schon gar nicht in Corona-Zeiten ein solches Jubiläum unkommentiert verstreichen lassen darf, gibt es ab Juni 2021 die erste Chronik ihres kongenialen Zusammenwirkens im Buchhandel. Schlimm.
So haben Achim Greser und Heribert Lenz ihr Buch genannt, das viel mehr ist als ein Buch. Es ist ein Riesenwerk, eine zweieinhalb Kilo-Wucht mit feinem Einband in groβer Auflage und limitierter Sonderedition in exklusiver Auflage. 1700 Zeichnungen auf 704 Seiten, jede Karikatur eigenhändig ausgewählt im Aschaffenburger Künstleratelier, in dem sich Greser und Lenz seit ihrem Einzug im Jahr 2005 jeden Morgen gegen halb elf Uhr treffen und erst einmal die aktuelle Tagespolitik besprechen. Was eignet sich, was lohnt sich, wer findet was gut? Aus dem oft unerschöpflichen Pool der Möglichkeiten wählen sie gemeinsam die Ideen aus, die den gröβten Erfolg versprechen und schicken sie als Skizze an die Zeitung. Immer in der Hoffnung, den Nerv der Redakteure und die inhaltliche Ausrichtung der kommenden Ausgabe zu treffen.
„Man muss heute sehr schnell sein“, sagt Achim Greser. „Es bleibt wenig Zeit Gedanken länger zu entwickeln. Einen Tag später kann eine Nachricht schon völlig veraltet sein.“ Kommt ein Auftrag, entsteht die Karikatur. Alle anderen Ideen wandern in den Papierkorb. Ein Jammer? Nein, Marktwirtschaft. Zehn bis zwölf Zeichnungen im Monat bekämen sie ins Blatt, sagt Heribert Lenz. Dafür, dass auch die FAZ ihren Umfang reduziert hat, sei das sehr gut.
1700 Zeichnungen also zu allem, was Deutschland und damit auch Greser & Lenz in den vergangenen 25 Jahren bewegt hat. 1996 gab es noch keinen Euro, war Helmut Kohl noch Bundeskanzler, die Wiedervereinigung nicht lange her, wurde Bill Clinton als US-Präsident wiedergewählt. Unfassbar viel ist seitdem passiert, in den Wohnzimmern, Hinterzimmern und Wirtshäusern des Landes. Wer sich nicht mehr erinnern kann: Voilá. Es gäbe da jetzt „Schlimm“.
Die Auswahl aus mehr als 3000 Karikaturen fiel Greser und Lenz schwer. Eher wenige Zeichnungen kamen nicht in Frage, „weil man sie nicht mehr versteht oder wir sie für nicht gut genug befunden haben“, sagt Heribert Lenz. Für den Rest haben sie gekämpft, „der Verlag wollte nur 500 Seiten machen, wir haben gesagt, das geht auf keinen Fall“. Am Schluss hat der Verlag nachgegeben, Greser & Lenz aber auch: Sie müssen einen Teil der Produktionskosten mitfinanzieren. Vielleicht muss man für ein Lebenswerk manchmal einfach investieren, das einen so absurden, makabren, satirischen, komischen, frechen und ironischen Blick aufs Land und über den Tellerrand wirft.
Ein kleinerer Teil der Karikaturen ist für Spiegel, Stern, Focus, Titanic und andere entstanden. Die Zeitschriften haben die Zusammenarbeit mit Greser & Lenz beendet, zu scharf, zu politisch unkorrekt, nicht mehr passend zum redaktionellen Stil hörte man als Begründung. Die beiden Karikaturisten empfinden das als gelebte Realsatire, leider selbst betroffen.
Zum Glück für die beiden sind die, die ihren hintergründigen Humor noch teilen, in der Mehrzahl. Und in der Redaktion der FAZ. Also machen Greser & Lenz weiter. 2018 sind sie zum zweiten Mal nach 2004 mit dem Deutschen Karikaturenpreis ausgezeichnet worden. In den Medien sind sie gern gesehene Interviewgäste, es gibt nicht viele von ihrem Schlag, die sich so differenziert und fundiert zu politischer Satire äuβern können.
Die FAZ hat ihre Karriere befeuert, nicht aber die beiden als Team geformt. Beim Grafikstudium in Würzburg lernten sie sich kennen, der eine kam aus Lohr am Main, der andere – Heribert Lenz – aus Schweinfurt. Man hört es noch am sanft rollenden fränkischen R. Spätestens als im dritten Semester ein gemeinsamer Trickfilm mit Kartoffelkäfern an der Resistenz der Tiere scheiterte, wussten sie, dass ihr Sinn für Humor und ihre Arbeitseinstellung so einzigartig gut zusammenpassen, dass daraus leicht eine immerwährende Berufs- und Freundschaftsbeziehung werden könnte.
Anfang der 1980er Jahre war das. Damals studierte man noch Grafik, um in der Werbung das ganz groβe Geld zu verdienen. Greser & Lenz liebäugelten stattdessen mit einem eigenen Shop, wollten Zeichnungen to go anbieten. Doch dann zeichneten sie erst bei der TITANIC, es kam die FAZ und mit ihr die groβe Karriere. Für dieses Engagement verbandelte man sich auch rechtlich als Gesellschaft brüderlichen – falsch: bürgerlichen Rechts. Das war 1996, vor 25 Jahren. Ob es mit dem Geld geklappt hat, darüber schweigen die beiden Herren grundsätzlich beharrlich. Nur so viel geben sie preis: In 25 Jahren gab es bei der FAZ zwei Mal eine Gehaltserhöhung. Immerhin. Ihr schönes Haus in Aschaffenburg sei im kommenden Jahr abbezahlt, sagt Heribert Lenz.
Ihre Zeichentechnik haben sie seit dem Studium beibehalten. Tusche, Feder, Aquarellfarben, keine digitalen Hilfsmittel. „Wir haben das so gelernt“, sagen beide „und wir finden die Karikaturen so schöner, feiner und detaillierter.“ Ganz abgesehen davon „ist so eine Zeichnung auf Büttenpapier doch etwas ganz anderes“, befindet Achim Greser.
Im Lauf der Jahre haben sie ihren Stil angeglichen – mit Absicht. Wohl nur wer die beiden sehr gut studiert und schon lange beobachtet, kann erkennen, wer welche Karikatur gezeichnet hat. Sie verstehen sich als Team, da muss die Arbeit aus einem Guss sein. Nur schreiben, das übernimmt immer Achim Greser. „Er hat die schönere Schrift“, findet Heribert Lenz.
Und nun sind die beiden Best Ager (Jahrgang 1958 und 1961) bald ein Fall fürs Museum. Die Frankfurter Caricatura hat gerade 400 Karikaturen gekauft. „Dass wir mit dem Ankauf unserer Bilder nun unter das Dach des Tempels geraten, der das Andenken an die Zeichner der Neuen Frankfurter Schule hochhält, ist ein tränentreibendes Glück für uns und erfüllt uns mit unermesslichem Stolz. Das ist kein Witz“, kommentieren die beiden. Aschaffenburgs Museen haben noch nicht angeklopft. Wie war das doch gleich mit dem Propheten im eigenen Land? Egal! Der Ascheberger im Besonderen und alle anderen im Allgemeinen haben ja nun die Möglichkeit, sich die gesammelten Werke nach Hause zu holen. Wer den Ritt durch die deutsche Geschichte als Bettlektüre nutzen möchte, hat sich gleich das Hanteltraining gespart. Zweieinhalb Kilo geballter Witz wollen erst einmal gestemmt werden.
Greser & Lenz: Schlimm! Antje Kunstmann Verlag 2021, 704 Seiten, 48 Euro